Osterholz-Scharmbeck ist vielleicht nicht so glamourös wie Barcelona[1], oder kosmopolitisch wie New York [2] (Orte, für die unter anderem visuelle Projektionen des Meeresspiegelanstiegs erstellt wurden), aber es ist auch ein Ort, an dem Menschen leben und ihren Lebensunterhalt verdienen. Und es ist ein Ort, der sich in den kommenden Jahren sehr wahrscheinlich vollständig wandeln wird. Wie wird diese Veränderung aussehen? Das hängt von vielen und komplizierten Faktoren ab (globale Veränderungen, lokale Veränderungen und gesellschaftliche Maßnahmen) und für den Moment haben wir uns auf den Anstieg des Meeresspiegels um 1 Meter konzentriert. Hier trifft die Wissenschaft auf die Kunst, um uns über mögliche zukünftige Realitäten zu informieren.
In diesem Sinne laden wir Sie ein, in die Zukunft nach Osterholz zu reisen.
Osterholz am Weserbodden
Wenn die Flut kommt, gehen wir surfen?– 500 Jahre Hafen Osterholz
Text: Christian Bunn
Die Besiedelung der Geest, an der Bremen zugewandten Spitze, kann leicht mit geo-ökologischen Faktoren begründet werden. Die leicht erhöhten Sandböden boten Schutz vor Sturmfluten, die Weser- und Küstenmarsch heimsuchen konnten. Es ist kein Zufall, dass das Marienkloster im Jahre 1186 direkt an der Grenze zwischen Geest und Marsch errichtet wurde. Das ehemalige Nonnenkloster ist bis heute namensgebend für den Stadtteil „Osterholz“. Stadthistoriker führen den Namen „Osterholz“ auf den ehemals spärlichen Baumbewuchs der Region zurück. Vom Lehen Lesum aus betrachtet, bezeichnete „Osterholz“ ein östlich gelegenes Waldstück, welches eine wichtige Rohstoffquelle für Brenn- und Nutzholz war.
Blick auf den Klosterplatz in Osterholz, Visuals in Science LAB, 2021. (Source: Google Earth. Geobasis – DE/BKG 2020 [3].)
Die Osterholzer Geest ist durch eine lange Besiedelungsgeschichte gekennzeichnet. Westlich grenzt die Geest an die Hammeniederung, welche durch feuchte Marsch und Moorböden geprägt ist. Geestböden sind zumeist sandig und relativ unfruchtbar und vorwiegend für Weidewirtschaft nutzbar, was wiederum Baumbewuchs entgegensteht. Ebenso sind feuchte Moorböden für Ackerbau und Forstwirtschaft ungeeignet, und darüber hinaus schwer zu überwindende Hindernisse für Verkehr.
Blick vom Aussichtsturm Lintel (Weidenkorb), Visuals in Science LAB, 2021.
Bahnunterführung in Lintel, Visuals in Science LAB, 2021.
Über Jahrhunderte rangen die Menschen Moor und Marsch der Natur ab. Das benachbarte Bremen wuchs von 20,000 Bewohnern in 1350 bis auf 160,000 Bewohner um 1900. Im 20. Jahrhundert verdreifachte sich die Bevölkerung Bremens, während Osterholz-Scharmbeck, aufgrund der attraktiven Lage in der Nähe der Großstadt, auf die sechsfache Größe wuchs.
Skulptur “Onkel Hermann” in der Hafenstraße am Ortsausgang Osterholz-Scharmbeck, Visuals in Science LAB, 2021.
Der Hafen war Teil des Planes zur Entwicklung der Teufelsmoorregion. Entwässerungsgräben und Torfstich machten die niedrig gelegenen Gebiete attraktiv für Viehwirtschaft. Der Hafen diente als wichtiger Umschlagsplatz für Produktionsgüter und Baumaterialien. Ganze Raddampfer für Überseegebiete wurden von hier verschifft. Mit dem Niedergang der Industrie zur Beginn des letzten Jahrhunderts, und dem Ausbau der Straßen verlor der Hafen seine wirtschaftliche Bedeutung und dient seitdem nur noch als Sportbootstandort.
Nun zeigen Klimaprojektionen, dass es nur noch eine Frage der Zeit ist, bis Sturmfluten wieder eine Gefahr für die Marsch werden. Legt man einen Eiswürfel in ein Zimmer sind wir uns sicher was passieren wird: er schmilzt. Wie lange dies dauert, hängt dagegen von einer Vielzahl komplexer Wechselwirkungen ab. Analog dazu verhält sich das globale Klimasystem. Selbst bei einer Begrenzung der globalen Erwärmung auf zwei Grad Celsius wird der Meeresspiegel noch über Jahrhunderte weiter steigen.
Zum Ende des 21. Jahrhunderts wird ein Anstieg des Meeres um einen Meter erwartet[4][5]. Schon heute wird begonnen die Deiche zu erhöhen und zu verstärken. Das Auftreten von Sturmfluthöhen die vormals als „Jahrhundertflut“ klassifiziert wurden, also Fluten, die einmal in 100 Jahren auftreten, könnte sich verdreifachen. Im folgenden Jahrhundert wird ein weiterer Anstieg um zwei bis drei Meter erwartet. Niemand kann genau vorhersagen, wann es so weit sein wird, aber die Zeit wird kommen, da die Deiche nicht mehr hoch genug sind.
Blick auf die Biogasanlage am Butenpad auf der Osternheide, Visuals in Science LAB, 2021.
Blick auf dem Flugplatz mit Hangar des Luftsportverein Osterholz-Scharmbeck, Visuals in Science LAB, 2021.
Wissenschaftler schlagen[6] vor, Küstenschutz in diesen Szenarien von einer „harten Infrastruktur“ hin zu „weichen Strukturen“ zu entwickeln: Da zu erwarten sei, dass Deiche irgendwann nicht mehr zu halten sein werden, oder nur noch mit enormen Kosten[7] (eine Studie schlägt vor eine Mauer von Schottland bis Norwegen zu bauen), sei es effizienter auf natürlichen Küstenschutz zu setzen. Ein Szenario sieht vor, den Küstenschutz der Deiche durch eine ausgewiesene Überflutungsfläche zu ergänzen. So könnte man zumindest eine Zeit lang Bremen vor der Überflutung bewahren. Die heutige Marsch und das Moor würden dann ein Bodden werden: brackiges Wasser, mittels durchlässiger Deiche teils vom Meer getrennt.
Zum 1000 jährigen Bestehen wird das Kloster St. Marien wohl auf Meereshöhe stehen. Null Meter über Normal Null. Tiefer liegende Gebäude sind entweder bereits zerstört, weil man untätig geblieben ist, oder in einem gezielten Umsiedelungsprozess zurück gebaut worden.
Der Hafen dagegen wird zu seinem 500. Hafengeburtstag schöner erstrahlen denn je. Er erlangt seine wirtschaftliche Bedeutung für Waren und Personenverkehr zurück. Ausflugsboote, holländische Plattboote, von Flüchtlingen eingeführt, brechen zu Ausflügen zu Vogel- und Seehundbänken auf. Der Weserbodden wird beliebt bei Surfern und Seepaddlern sein, und Touristen sonnen sich gern auf dem Geeststrand.
Dieses Projekt wurde von Visuals in Science LAB in Zusammenarbeit mit Dr. Christian Bunn entwickelt.
Die Illustrationen für das aktuelle Szenario wurden vor Ort erstellt, während die Illustrationen für das zukünftige Szenario auf der Projektion des Coastal Risk Screening Tools (von Climate Central) basieren. Climate Central | Land wird im Jahr 2050 unterhalb des jährlichen Hochwasserpegels liegen. Besucht am 18.08.2020
Danksagung
Wir danken Ulrike Chantelau für ihre Hilfe bei der Logistik und Lokalisierung vor Ort sowie Alexander Giebler und Frederike Gröner für ihre Kommentare zum Text.